Hamburg besitzt die größte chinesische Gemeinde Deutschlands – das Olympiafieber bleibt aus
Die Hamburger Zentrale von Herrn Chens Unternehmen hat ihren Sitz in zweiter Reihe an einer Ausfallstraße Richtung Osten. Im dritten Stock des schlichten Gebäudes ist die Caissa Touristic Group AG untergebracht. Drinnen findet man keine Bilder an den cremefarbenen Wänden, keinerlei Dekoration stört die Leere. Herr Chen ist Vorsitzender und Gründer von Caissa, einem Reiseanbieter, der seit 15 Jahren Chinesen durch Deutschland und Deutsche durch China begleitet. Nach einer Minute Wartezeit betritt Chen Mang den Besprechungsraum, schenkt Kaffee ein. Seine Firma hat über 500 Mitarbeiter, Herr Chen ist ein vielbeschäftigter Mann. Trotzdem hat er Zeit für ein Gespräch, wie lange es auch dauern mag. „Bescheidenheit“, sagt er, „ist der Reichtum des chinesischen Volkes“.
Er ist deutscher Staatsangehöriger, seit Mitte der neunziger Jahre lebt er in Hamburg. „Olympia ist eine großartige Veranstaltung“, sagt er, und es freue ihn, dass sein Heimatland die Spiele ausrichte. Aber es störe ihn, dass die Organisatoren bis ins Maßlose übertreiben. Der aufwändig gesicherte Fackellauf durch die ganze Welt zum Beispiel, der Hype um den Hürdenläufer Liu Xiang („Das verkraftet doch kein 26-Jähriger“), das Getue um das Eröffnungsdatum 8. 8. 2008, und vor allem die permanente Propaganda, die „besten Spiele“ auszurichten. All diese Übertreibungen „widersprechen unserer traditionellen Lebensphilosophie“, sagt Herr Chen. Er hat sich Berichte von den Spielen beim Autofahren angehört, einzelne Disziplinen daheim vor dem Fernseher verfolgt – mehr Raum nahm das Großereignis in seiner Heimat bei ihm nicht ein.
Rund 10 000 Menschen chinesischer Abstammung leben in Hamburg, das ist die größte chinesische Gemeinde in Deutschland. Von Olympiafieber ist aber trotz der vielen chinesisch-deutschen und deutsch-chinesischen Gesellschaften und Interessenvertretungen nichts zu spüren. Hamburg nennt sich gerne den Brückenkopf zum Wachstumsmarkt China. Aber während der Spiele haben sich alle Seiten mit begleitenden Veranstaltungen zurückgehalten. Das GIGA Institut für Asienstudien Hamburg lud zu einer Diskussion über Gewinner und Verlierer von Olympia, aber die Runde tagte nicht in Hamburg, sondern in Berlin. Der chinesische Generalkonsul Ma Jinsheng lud zur Eröffnung zum Empfang in die Botschaft. Das war’s.
Die Hamburger China-Gesellschaft erklärt, man sei zu sehr mit den Vorbereitungen für das am 12. September startende Kulturfest „China Time“ beschäftigt. Die Handelskammer verweist auf den „Hamburg Summit“, bei dem im September über die „Zukunft der sino-europäischen Beziehungen“ diskutiert wird. Und chinesische Gastronomen finden, dass jede Art von Public Viewing nicht in ihre Läden passe. Mit den umstrittenen Pekinger Spielen möchte sich in Hamburg niemand schmücken. „Die Stadien sind sehr schön“, sagt der Geschäftsführer eines China-Restaurants. Ansonsten fällt ihm in Bezug auf die Spiele nur die Kritik an ihnen ein, sicher nicht unberechtigt, nein, aber allzu einseitig westlich. Im Zusammenhang mit Olympia möchte der Mann seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. Was hat er von den Spielen mitbekommen? Wenig, sagt er, wie alle Chinesen arbeite er viel, und die Übertragungszeiten seien ungünstig. Auch privat hat er sich nicht zum gemeinsamen Fernsehen verabredet: „Chinesen sind sehr zurückhaltend, und keine Gruppenmenschen“.
Auch Yu Ming-Chu überrascht die Frage nach Olympia-Aktionen ihrer Landsleute. Frau Yu ist die Vorsitzende der Abteilung China-Restaurants im Hotel- und Gaststättenverband. Sie sagt: „Was erwarten Sie? Bei 1,7 Millionen Einwohnern sind zehntausend Chinesen doch keine große Gruppe. Und eine homogene Gemeinschaft sind wir auch nicht.“ Immerhin weilt der stellvertretende Vorsitzende der Hamburger China-Gesellschaft, Chen Qiuyi, derzeit in Peking. Wegen Olympia? „Hauptsächlich“, sagt Chen am Handy. Er erlebt dort eine Euphorie, die bei seinen Landsleuten in Hamburg kaum einer teilt. Chen ist auf dem Weg zum Handball-Viertelfinale. „Überall die Volunteers“, sagt er, „diese Begeisterung ist ansteckend“.
Herr Chen der Chef von Caissa Touristic, hat im Frühjahr Journalisten „kultur-überbrückende Verhaltenstipps“ für ihren Einsatz in Peking gegeben. Chen sagt, dass Menschenrechte und Religionsfreiheit große Probleme in seiner Heimat seien. Aber auch er findet die westliche Berichterstattung einseitig. Er selbst hatte geplant, in einem Hotel einen Saal zu mieten, eine Leinwand aufzustellen und gemeinsam mit geladenen Gästen einen Abend mit Olympia zu verbringen. Angesichts der negativen Schlagzeilen hat er es dann gelassen. Chen hofft, dass der Welt von diesen Spielen die Erkenntnis bleibt, dass es eine Tugend ist, bescheidend zu sein. Er mag diese Art. Sie sei die traditionell chinesische, sagt er – und auch die hanseatische.
Christiane Langrock-Kögel